Letzte Aktualisierung:
April 21, 2008

VOR GESCHICHTE

In der Ausgabe für das Jahr 1900 gibt der Whitaker's Alamanack die Zahl der in China lebenden Ausländer 
mit 10.855 an. Davon sind 4.362 Briten, 1.439 Amerikaner, 933 Franzosen, 870 Deutsche und 852 Japaner.

 Januar Purpur-Dekret Sr. Majestät Kuang-Hsü, 24. Tag des 12. Mondes des 25 Jahres, welches den Sohn des Prinzen Tuan zum Thronerben ernennt.
"In den Tagen unserer zartesten Jugend gelangten wir durch Adoption zu der Großen Erbschaft und erfreuten uns der Gunst der Kaiserinwitwe, die gnädigst den "Vorhang herabließ" und als Regentin die Regierung führte, indem sie sich nach jeder Richtung unsere Erziehung angelegen sein ließ. Seit wir die Zügel der Regierung ergriffen haben, hatte die Nation unter schweren Krisen zu leiden und unser einzigster Wunsch ist es gewesen, das Reich weise zu regieren, um die wesentliche Güte Ihrer Majestät zu lohnen und die schwere Aufgabe zu erfüllen, die uns von Sr. verstorbenen Majestät übertragen worden ist.
"Aber seit dem letzten Jahr ist unser Leib von Krankheit heimgesucht und es hat uns der Gedanke große Sorge bereitet, dass die Staatsgeschäfte darunter leiden möchten. Mit Rücksicht auf die Pflicht, die wir unseren geheiligten Ahnen und dem Reiche schulden, haben wir daher Ihre Majestät ersucht, während des vergangenen Jahres die Regierung zu führen. Unsere Krankheit hat keine Wendung zum Besseren genommen und hat uns verhindert, alle die wichtigen Opfer an den Schreinen dar Ahnen und an den Altären der Götter des Bodens zu vollziehen.
"Und jetzt, in dieser scharfen Krisis, hat uns das Schauspiel, Ihre Majestät in der tiefen Abgeschlossenheit ihres Palastes, ohne Unterlaß, ohne Ruh noch Rast arbeiten zu sehen, mit Bestürzung erfüllt. Wir können mit unseren sorgenvollen Gedanken weder schlafen noch essen. In Anbetracht der mühsamen Arbeiten unserer Ahnen, von denen die Große Erbschaft auf uns überkommen ist, sind wir von unserer Unfähigkeit zu regieren überwältigt. Wir erinnern uns daran (und auch alle unsere Untertanen wissen es wohl), dass, als wir durch Adoption zum Throne gelangten, wir mit einem Dekret der Kaiserinwitwe beehrt wurden, welches besagte, dass, sobald wir einen Sohn erhalten würden, dieser der Adoptivsohn Sr. verstorbenen Majestät T'ung Chih werden solle. Aber unsere sich lang hinziehende Krankheit macht es uns unmöglich, auf einen Sohn zu hoffen, so dass Se. verstorbene Majestät ohne Erben verbleibt. Diese Erbfolgefrage ist von höchster Wichtigkeit und unser Gram, wenn wir die Lage erwägen, erfüllt uns mit Gefühlen tiefster Selbsterniedrigung und macht alle Hoffnung auf unsere Genesung illusorisch.
"Wir haben uns daher vor unserer Geheiligten Mutter niedergeworfen und sie angefleht, dass es ihr gefallen möge, aus den Prinzen von Geblüt als Erben für Se. Majestät T'ung Chih eine würdige Person auszuwählen, so dass die Große Erbschaft pflichtgemäß an ihn zurückfallen möge. Auf unser Flehen hin hat sich Ihre Majestät gnädigst bewegen lassen, P'u Chün, den Sohn des Prinzen Tuan zum Erben Sr. verstorbenen Majestät durch Adoption zu bezeichnen. Unsere Dankbarkeit hierfür ist grenzenlos und wir gehorchen ehrerbietigst ihrem Geheiß und ernennen P'u Chün zum Thronerben. Dies Dekret sei im ganzen Reiche bekannt zu geben."
Februar  
März  
April  

 

 
   
19. Mai Der folgende Auszug aus einem Brief von Bischof Favier an den französischen Minister (damals übliche Bezeichnung für die Gesandten) gibt ein Stimmungsbild der Situation in China:
"Von Tag zu Tag wird die Situation ernster und drohender. In der Präfektur Pao ting fu sind mehr als 70 Christen massakriert, 3 andere Neubekehrte sind in Stücke geschnitten, mehrere Dörfer sind geplündert und den Flammen übergeben, eine große Anzahl ist völlig verlassen. Mehr als 2000 Christen sind auf der Flucht, ohne Bekleidung, ohne Schutz, etc, etc.
Peking ist von allen Seiten cerniert, die Boxer nähern sich täglich und werden nur noch durch das Vernichtungswerk, das sie gegen die Christen ausüben, aufgehalten. Ich bitte Sie Herr Minister, glauben Sie mir, ich bin wohl informiert und ich nehme nichts leicht. Die religiöse Verfolgung ist nichts als ein Vorwand, der Hauptzweck ist die Ausrottung der Europäer, ein Ziel, welches klar bezeichnet und auf die Fahnen der Boxer geschrieben ist, etc. etc.
Diejenigen, welche vor 30 Jahren das Massacre in Tientsin miterlebten, sind durch die Ähnlichkeit der Situation von damals mit der von heute erschreckt; dieselben Ankündigungen und dieselbe Verblendung. Auch damals wie heute haben die Missionen geschrieben, gefleht, das schreckliche Erwachen vorhersehend. --
Unter diesen Umständen glaube ich, dass es meine Pflicht ist zu bitten, uns wenigstens für den Peitang 40 oder 50 Soldaten zum Schutz unserer selbst und unseres Gutes zu schicken, etc. etc.
24. Mai Auszug aus: Der „Boxeraufstand“ in China – Das Tagebuch des Gottlieb Brosi.
(Hrsg. von der Stadt Backnang, Stadtarchiv, Bernhard Trefz, Fr. Stroh Verlag, 2004)

Die Kriegsschiffe aller Nationen hatten heute Flaggengala zu Ehren Queen Victoria, der Königin von England . Mittags um 12 Uhr feuerten die 10 Kriegsschiffe im Hafen eine internationale Salute von 21 Schüssen. Nachmittags hatten wir wettrudern, die Engländer, Amerikaner, Russen, Italiener, Österreicher und Franzosen nahmen teil. Das erste Wettrudern gewannen die Österreicher mit ihrem Cutter , das zweite gewannen wir mit unserer Gipp. Um 7 Uhr bekamen wir 25 Seesoldaten von der Oregons Wacht, die wir mit uns nehmen werden. Alsbald hoben wir Anker und fuhren ab. Ein russischer Kreuzer kam eben hier an.
27. Mai Fortsetzung aus: Der „Boxeraufstand“ in China – Das Tagebuch des Gottlieb Brosi.
(Hrsg. von der Stadt Backnang, Stadtarchiv, Bernhard Trefz, Fr. Stroh Verlag, 2004)

Um 1 Uhr Nachmittags kamen wir in TAKU, CHINA an. Ein Chinesischer, Franzhösischer u. Japanischer Kreuzer lagen hier. Wir ankern ungefähr 10 Meile vom Land, das Wasser ist hier so seicht, daß man nicht näher mit einem großen Schiff hinfahren kann. Das Land ist vom Schiffe aus kaum sichtbar.
28. Mai Teilweise Zerstörung der Bahnlinie Pao Ting fu - Peking durch die Boxer.
29. Mai Zerstörung der Bahnstation Fengtai südwestlich von Peking.

Tientsin war wegen seiner Lage am Kaiserkanal, an der Bahn und am Peiho ein für beide kriegführende Parteien gleich wichtiger Knotenpunkt, ganz abgesehen von den dort vorhandenen großen Arsenalen und den daselbst aufgespeicherten Kriegsvorräten.
Die Fremdensiedlung Tsz-tschu-lin liegt etwas südlich, also stromabwärts der Stadt, auf dem linken Ufer, und dorthin hatten sich die Fremden aus dem ganzen aufständischen Gebiet zu Beginn der Unruhen geflüchtet

Nachfolgende Schilderung von der Flucht aus Paotingfu nach Tientsin stammt aus dem Tagebuch des Schweizer Ingenieurs S. Tallerie:
"Um 5 ½ Uhr nachmittags verließen wir, d.h. alle Europäer, 40 an der Zahl, worunter 7 Frauen, Pautingfu (etwa) 70 Km westlich von dem sumpfigen Flussbett des Thsung-ting-ho gelegen, der bei Tientsin in den Peiho mündet) in elf Booten und fuhren in der Richtung nach Tientsin. wir waren alle mit Mausergewehren M. 71 bewaffnet, und einige hatten Revolver."

 


Tsu Hsi auch der "Alte Buddha" genannt mit ihren Hofdamen

Fortsetzung: Der „Boxeraufstand“ in China – Das Tagebuch des Gottlieb Brosi.
(Hrsg. von der Stadt Backnang, Stadtarchiv, Bernhard Trefz, Fr. Stroh Verlag, 2004)

Um 7 Uhr Morgens bestiegen 25 Seesoldaten von der NEWARK u. die 25 von der OREGON, die wir an Board hatten, auch eine Companie Matrosen unsre kleine Boote um zu landen. Es war Ebbe u. nur 2‑3 Fuß Wasser auf der Bar . Mit unsren Booten kamen wir nicht weit, denn sie brauchten zuviel Wasser u. mußten wir Chinesische Fischerboote nehmen, sie brauchen nicht so tiefes Wasser. Wir kamen nur langsam vorwärts, manchmal blieb das Boot im Schlamm stecken u. wir mußten ins Wasser u. schieben bis wir wieder an einer tieferen Stelle waren. Es wurde Mittag, ehe wir das Land erreichten. Wir landeten in TAKU, das am Flusse PEI‑HO liegt, auf beiden Seiten vom Flusse sind Festungen (FORTS). Wir maschierten nun nach TANGU weiter stromaufwärts nach dem Bahnhof um von hier nach TIEN‑SIN zu fahren. Der Bahnmeister hier erklärte CAPT. MCCALLA, daß er die Macht von seiner Regierung nicht habe, uns Wagen zur Verfügung zu stellen um uns weiter zu befördern. Wir maschierten nun nach TAKU zurück u. bestiegen hier ein SCOW"0 oder Frachtbevörderer u. ein Schleppboot zog uns stromaufwärts. Keiner durfte sich auf Deck sehen lassen, bis wir an den Festungen vorbei gefahren waren. Ein jeder hatte 120 Patronen bei sich, ferner hatten wir noch 40000 Patronen in Kisten bei uns. Eine 3 inch Feldkanone u. ein Maschinen Gewehr sowie auf ein paar Wochen Proviant hatten wir bei uns. Als wir die FORTS passiert hatten, durften wir auf Deck u. sahen eine schöne Landschaft. Kleine Dörfer u. Städte an beiden Ufern dicht beieinander. Die Chinesen in den Ortschaften, sprangen alle zusammen als sie uns sahen u. gafften uns an. Der Fluß macht viele Krümmungen, die Felder scheinen alle Reisfelder zu sein. Die Leute bestellen wirklich ihr Feld, doch scheint das hauptsächlich der Frauen Arbeit zu sein. Um 11 Uhr Nachts langten wir in TIEN-SIN an. Die dortigen Europäer erwarteten uns mit einer Musikkapele u. wir maschierten nach dem TEMPERANCE HALL wo wir dann Quatier machten. Die hiesige Europäer haben uns mit Freuden empfangen, denn die Aufständische BOXERS scheinen gefährlich zu werden u. wol!en alle Europäer morden u. die Kirchen niederbrennen.

30. Mai  
31. Mai Fortsetzung des Tagebuchs von S. Tallerie:
"In Sudjen wurden wir zum ersten Male von den Chinesen überfallen. Ich glaube, dass dieser Überfall vorbereitet gewesen ist. Auf den Knall des ersten Schusses griff jeder nach Büchse und Patronen, alles andere im Boote zurücklassend. Wir hielten eine halbe Stunde Stand und zogen uns, nachdem das Feuer der Chinesen fortdauerte und wir ihnen keine ernsthaften Verluste beibringen konnten, da sie gut verschanzt waren, außer Schussweite, wurden jedoch verfolgt. Nachdem wir uns gesammelt hatten, stellten wir vier Leichtverwundete, darunter eine Dame, und einen Schwerverwundeten fest. Wie groß war aber unsere Überraschung, als wir zum ersten Male ausruhten und uns gegenseitig anschauten; die fünf Damen waren nur mit einem Rock bekleidet und eine, welche ihrer Niederkunft entgegensah, dazu barfuß und mit einem kleinen Mädchen von 4 bis 5 Jahren auf dem Arme. Gegen 9 Uhr wurden wir von neuem überfallen.
Hunger und Durst fingen an uns zu quälen. Unser Doktor und ein Ingenieur wurden ohnmächtig. Jeden Augenblick muß man halten; die Verwundeten verlangen Wasser, das kleine Mädchen Brot – und keinem Wunsche kann entsprochen werden. Von nun an beginnen Strapazen aller Art. Der erwähnte Ingenieur will nicht mehr weiter und muß getragen werden; er will sich eine Kugel in den Kopf jagen und bittet uns, es geschehen zu lassen; wir sprechen ihm Mut ein. Langsam gehen wir dann dem Flusse zu, wo sich die Boxer in größerer Mehrzahl gruppiert hatten, wahrscheinlich um uns zu verhindern, Wasser zu trinken. wir gehen resolut darauf zu und sehen mit Vergnügen, dass sich die Boxer entfernen. Alles atmet erleichtert auf, läuft zum Flusse, schöpft und trinkt das schmutzige Wasser. Welche Labung! Man schaut mit Tränen in den Augen zum Himmel.
Gegen 2 Uhr marschieren wir längs des Flusses, um nicht mehr dursten zu müssen. Die Boxer folgen uns, aber immer in respektvoller Entfernung. Nach zwei Stunden gelangten wir in ein Dorf, in welchem gerade Markt war. Beim Eintritt empfingen uns einige Notabilitäten mit dem Fächer in der Hand und deuteten uns an, das Dorf möglichst schnell zu verlassen, was wir auch thaten. Somit verließen wir aber auch den Fluß wieder.
Kaum hatten wir das Dorf verlassen, so stellten sich auch die Boxer, etwa 300, ein; Die Bevölkerung , an 2000, stellte sich neben den Boxern rechts auf. wir nahmen Position in einem Friedhof, und sofort wurde Feuer mit einer Kanone und einem großen Gewehr auf uns eröffnet. Selbstverständlich ließen wir die Herren brav schießen und warfen uns nach jedem Schuß auf die Erde. In der Meinung, dass die Schüsse gut getroffen hätten, avancierten die Boxer langsam, aber in dichten Massen, und diesen Augenblick benutzten wir, um auf den Gegner Salven abzugeben, welche sicher viele Tote und Verwundete verursachten.
Der Tag war fürchterlich heiß, Durst und Hunger stellten sich wieder ein, und viele von uns begehren lieber zu sterben, als so weiter zu kämpfen. Aber es geht weiter."

Fortsetzung: Der „Boxeraufstand“ in China – Das Tagebuch des Gottlieb Brosi.
(Hrsg. von der Stadt Backnang, Stadtarchiv, Bernhard Trefz, Fr. Stroh Verlag, 2004)

Um 11 Uhr Morgens maschierten wir 50 Seesoldaten mit unserem Maschinenge*ehr nach dem Bahnhof. Die COMPANIE Matrosen mit der 3 inch Feldkanone bleiben hier zurück. Wir mußten auf dem Bahnhof bis 3 Uhr Nachmittags warten, bis die andern Nationen hier waren. 64 Russen, 75 Engländer, 55 Franzhosen, 45 ltalener, 25 Japanesen u. wir 50 Amerikaner bestiegen den Zug u. fuhren ab. Wir hatten Maschinen Gewehre mit uns. Das Land, durch das wir fuhren ist eine große Ebene u. ist dicht bevölkert. Chinesische Soldaten hatten in den größem Städte ihr Biwac aufgeschlagen. Um 5 Uhr kamen wir in MACHAPU die Bahnstation von PEKING an. Die Bahn läuft nicht ganz nach PEKING, sondern nur bis zu dem 5-6 km von PEKING entfernten MACHAPU. Der Bahnhof u. das Telegraphengebäude hier sind von den BOXERS schon abgebrannt worden. Maschierten unter Führung CAPT. MCCALLA nach PEKING. Chinesische Soldaten u. BOXERS hatten ihre Zelte an beiden Seiten von der Straße ihr Biwac aufgeschlagen. Durch das Thor der ersten Mauer stürmten wir im Laufschritt, wir maschierten in geschlossener Order, die Straßen sind schlecht mit großen Löcher überall. Die hinteren Reihen von uns konnten die Löcher nicht sehen u. sobald man aufgestanden war trat man wieder in ein andres Loch u. lag auf seiner Nase. Der Staub, Dreck u. Gestank war fast unerträglich. 3 von unsem Leute fielen erschöpft u. beschwerteten den Marsch für uns andern noch mehr. Die Straße auf beiden Seiten war dicht mit neugierigen Chinesen gedrängt, die uns anglotzten, als ob wir ganz andre Geschöpfe wären wie sie. Maschierten durch das Thor der zweiten Mauer (CHIN-MEN) 9. Thor u. langten um 4 Uhr in der americanish Gesandschaft an, wo wir zu drinken u. zu essen bekamen.